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8SB.de - Zitate

 

Die Kolumnen für die "Erfurter Blätter" sind 2006 geschrieben und in den sechs Heften des Jahrgangs gedruckt worden. Hier fürs erste die Nummern 5 und 4.

 

vom August 2006

„Des Menschen Leben ist Mühe und Arbeit.“ So haben Christen es dem Psalm 90 entnommen und lange Zeit damit begründet, warum Menschen unermüdlich am Werk sein sollen. Wohl mit Anspielung auf das Gleichnis in Matthäus 25 heißt in unserem Sprachgebrauch eine Begabung „Talent“ – selbstverständlich ist man verpflichtet, damit zu „wuchern“. Und so mancher Traueranzeige kann man entnehmen, dass der Dahingegangene in diesem Streben den Sinn seines Lebens gefunden hatte. –

Böhmerwald 2006. Mit einem Ruderboot auf einem großen See, weitab von den waldigen Ufern. Nur ganz von fern verschollene Geräusche. Windstille, die Wasserfläche spiegelglatt, bewegungsloses Schweben zwischen zwei Himmeln, oben und unten. – Da ist es passiert: Die Zeit blieb stehen. Einen winzigen Moment, endlos lang. Und es war der schönste Augenblick im ganzen Sommerurlaub.

Wer sagt eigentlich wirklich, dass der Mensch, wenn er ein Mensch sein will, um jeden Preis tätig sein muss? Psalm 90 tut es nicht – er beklagt eher das Los des Menschen, dass all seine Mühe, so angespannt sie die Jahre und Jahrzehnte hindurch auch sein mag, ja doch vergeblich ist, „denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon“. Das Gleichnis mit den Talenten spricht von der klugen Anwendung der Gaben, aber nicht vom mechanischen Fleiß, ohne den kein Preis sei.

Unentwegte Arbeit – so notwendig sie oftmals fürs Überleben ist – macht auch nicht etwa glücklich. Bestenfalls und selten genug sind es die Ergebnisse, an denen man sich freut – das angestrengte Streben selbst ist nur geeignet, abzulenken, zu überspielen, zu täuschen. Darüber hinwegzutäuschen, dass kein Ding auf Erden einen Wert hat, es sei denn, Menschen sind fähig, ihn in Herz, Geist und Seele zu empfinden und zu würdigen. Dass es also einen höheren Sinn menschlicher Existenz gibt.

Und der kann sehr wohl in der Muße bestehen. „Ora et labora“ heißt es schon in der benediktinischen Ordensregel: Der Arbeit ist das Gebet nicht nur zur Seite, sondern vorangestellt. Die Brüder von Taizé sprechen von „Kampf und Kontemplation“ – den zwei Polen, zwischen denen sich erst das Feld des Seins ausspannen kann. Das hat also nichts mit Entspannung zu tun, mit Sichhängenlassen oder Genießen. So wichtig wie die Arbeit ist das untätige, betrachtende Sein als der Zustand, in dem der Geist empfindsam wird, nach der unsichtbaren, der wahren Dimension der Welt sucht, sich leise und neugierig ins Unbekannte entfaltet. So wie die Schnecke vorsichtig ihre Fühler ausstreckt, wenn nichts um sie herum sich zu bewegen scheint.

Der Mensch ist sterblich. Im Herbst, wenn die Natur sich zur Ruhe begibt, besinnen auch wir uns darauf. Unsere Zeit auf Erden ist begrenzt, und es ist nicht sehr repräsentativ, was von uns bleibt. Die Spuren verblassen, Andere, Lebendige, gehen darüber hinweg, es ist jetzt – für eine Zeit – ihre Welt. Worin also besteht der Sinn unsres Daseins?

Das muss wohl jeder – zwischen Gebet und Arbeit, Kampf und Kontemplation – für sich selbst herausfinden und erleben. Aber wer weiß – vielleicht ist das Schönste, was einer auf Erden erreichen kann, dass ab und zu einmal zwischen allem die Zeit stehen bleibt...

 

 

vom Juli 2006

"Kultur, Denken und Seelenwelt des Abendlandes sind durch das Christentum geprägt."

Wer wäre nicht spontan geneigt, diesem Satz zuzustimmen und dabei an all die Werte zu denken, die im christlichen Glauben begründet sind: ethisch in den Zehn Geboten, in Jesu Bergpredigt und in den Gleichnissen. Wer dächte nicht an Mönche und Klöster. In jedem Dorf steht eine Kirche im Mittelpunkt, und die Kunst- und Geistesgeschichte ist überhaupt nicht denkbar ohne biblische Motive, zu Kunstwerken gewordene Frömmigkeit, Musik zum Lobe Gottes und - in Deutschland - die Sprache Luthers. Es ist alles in Allgemeinbesitz übergegangen, aber die Ursprünge sind christlich. Unsere Welt besteht in jeder Zelle aus christlicher Erbsubstanz.

Als der Autor dieser Zeilen vor Jahr und Tag begann - eine "Wende" sollte noch ein Jahrzehnt lang tätig ersehnt werden -, sich in kirchlichen Gremien zu engagieren, dachte er ohne weiteres Überlegen, auch die Demokratie gehöre dazu. Beispielsweise besitze ich noch ein hektographiertes Faltblättchen "6 x 3 Spielregeln für die Synodalen einer Kreissynode", mit dem Reinhard Höppner, damaliger Präses des Magdeburger Kirchenparla-ments, den neuberufenen Vertretern ihre Pflichten, vor allem aber ihre Rechte erklärte. Ich lernte z.B. "Anträge zur Geschäftsordnung" kennen und, dass ich vor der Abstimmung über meinen eigenen Antrag das Recht auf ein Schlusswort habe. Im Nachwort stand: "Die Synode ist eine Gemeinde" und lebt "von dem Geist Gottes, ohne den gute Beratungen nicht möglich sind." In der Kirche habe ich gelernt, wie gut und wie wichtig Demokratie ist. Sie - die evangelische Kirche - hat mit dieser Lehre Gutes für die Menschen ge-tan, denn Demokratie konnte man damals nirgendwo sonst erfahren.

Und doch gehört die Demokratie mitnichten zu den Werten, die kirchlichen Ursprungs sind. Im Gegenteil. Die Kirche stand beim Erwachen der abendländischen Demokratien noch auf der Gegenseite - mit ihren Obrigkeitsvorstellungen, die ihr von Gott gewollt schienen, mit ihrem Menschenbild, das ohne Unterschiede nicht auskam, allein schon zwischen Männern und Frauen. Gewiss hat sie seit damals hinzugelernt, aber dennoch: Demokratie als Ordnung Gleichberechtigter und als Weg, über Abstimmung und Interessenausgleich zu gemeinsamen, womöglich gottgefälligen Beschlüssen zu gelangen, liegt der Kirche nicht im Blute.

Ob man es ihr, die von jeher und aus gewissermaßen "familiären" Gründen ein Hort der Hierarchie war, wohl manchmal noch anmerkt?

Wo demokratische und hierarchische Strukturen gleichzeitig existieren und einander angepasst, miteinander verwoben werden müssen, sind zwischenmenschliche Probleme unausweichlich. Das gilt in allen organisierten Verbänden (wenn sie nicht von vornherein autoritär aufgebaut sind), also auch unter Christengeschwistern, in der Kirche. Bei uns wird es noch etwas kurioser dadurch, dass in der Hierarchie viele Freiwillige ehrenamtlich mitarbeiten, die sich einerseits schwerlich in Weisungsstrukturen einsperren lassen, andererseits darin durchaus folgenreich handeln können, und oftmals ganz gern. Und dazu haben wir alle unterschiedlich gemischte Persönlichkeiten, laut und leise, dominant und dezent, schnell und bedächtig, selbstbewusst und aufmerksam für Andere, auf die Richtung bedacht und auf die Feinheiten. - "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust", sagt Faust, und auch der Kolumnenschreiber weiß aus Erfahrung, wovon er spricht.

Aber eines sollten wir dennoch nicht machen: Konfliktpotenzial, das so entstehen kann, aus dem Bedürfnis nach geschwisterlicher Eintracht im versöhnten Geiste Jesu zu ignorieren, zu verdrängen. Das kann kein Miteinander unter Christenschwestern und -brüdern sein, das die Harmonie in der Gemeinschaft über den Seelenfrieden Einzelner stellt. Die Gemeinschaft der Heiligen bewährt sich erst dort, wo jeder akzeptiert und geliebt ist trotz, nein: wegen seiner Eigenart, die ein Beitrag ist zur Farbigkeit des Gesamtbildes. Kann man das "christliche Demokratie" nennen?

(Und DIE sollte der Kirche DOCH im Blute liegen...)